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Bad Alchemy #46
STILLSTAND überrascht bei Kreuzung (TOSOM 014, CD-R) mit einer in der dark ambienten Phantasiewelt seltenen Wendung ‚Zurück zum Beton‘. In drei Anläufen moduliert und verfremdet Martin Steinebach die urbane Geräuschwelt einer Straßenkreuzung. Auszugsweise zitiert er aus einer Broschüre des Landesumweltamtes Nordrhein-Westfahlen über die Wahrnehmung, Wirkung und Beurteilung von Verkehrs- und Alltagslärm. Nicht jedes Geräusch ist Lärm. Der negative Begriff bezieht sich eigentlich auf die Aspekte der Geräuschwelt, die als störend, belästigend und krank machend empfunden werden. Typische Lärmschäden sind Schlaf- und Kommunikationsstörungen, Stress und Herz-Kreislauferkrankungen, denen man durch Schallschutz abzuhelfen versucht. Oder durch Flucht in so genannte Urlaubsparadiese, für die man wiederum Autos und Düsenflugzeuge benutzt. Und natürlich durch Eigenlärm. Als Lärm gilt immer nur etwas, dem man unfreiwillig ausgeliefert ist, nie der Krach, den man selbst verursacht mit dem Gaspedal, dem Techno- oder Radio-Gong-Terror sogar noch bei geschlossenen Windschutzscheiben, mit Rasenmähern, Presslufthämmern, Black & Deckers. Urbanität und Mobilität sind zu ihrer Low-Fidelity-Existenz verdammt und wie schon Negativland vor Jahren festgestellt haben: There is no Escape from Noise. STILLSTAND nimmt mit seinen ‚Drei akustischen Verkehrsbeobachtungen‘ eine neutrale, phänomenologische Haltung ein. Das dröhnende und wummernde Klangkonzentrat wird weder ästhetisiert noch dämonisiert. Der Verkehrslärm wurde zum Spielmaterial. Unvermeidlich wird Kreuzung dabei zum gerahmten Kunstwerk, ‚Kunststoff‘, der sich durch die Volume- & Stopptasten beherrschen lässt, Lärm, der sich als Lärmhaube überstülpen lässt, um, eingesponnen in einem selbst gewählten Noisekokon, dem unentrinnbaren Lärm der ‚anderen‘ zu trotzen, indem man ihn übertönt. Wenn man will, kann man STILLSTANDs NoiseArt aber doch auch als Plädojer für das Fahrrad deuten.